Montag, 22. August 2022

Länder uneins über staatliche Hilfe

Schlecker-Arbeitsplätze hängen von Bürgschaft ab

Rhein-Neckar/Stuttgart/Ulm, 28. März 2012. Verlieren rund 11.000 Mitarbeiter bei Schlecker ihren Arbeitsplatz, weil eine benötigte Bürgschaft ausbleibt? Heute wurde das Insolvenzverfahren vor dem Amtsgericht Ulm eröffnet. Baden-Württemberg will eine Bürgschaft über 70 Millionen Euro geben – aber nur, wenn andere Länder rückbürgen, um die Lasten zu verteilen. Vor allem die niedersächsische CDU/FDP-Regierung mauert aber.

Der Finanz- und Wirtschaftsausschuss des Landtags entscheidet heute in Stuttgart darüber, ob das Land mit rund 70 Millionen Euro eine Bürgschaft stellt. Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein signalisierten Hilfen. Niedersachsen und Sachsen hingegen Ablehnung.

Einem Bericht einer Unternehmensberatung zufolge seien die Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung gering. Laut Wirtschaftsministerium gäbe es konstruktive Gespräche mit den Ländern, um schnell eine Lösung zu finden.

"Die Liste des Grauens" ist vierzig Seiten stark

Schlecker schließt auch in der Region Filialen

Dieser Markt in Edingen-Neckarhausen schließt.

 

Rhein-Neckar, 14. März 2012. Ausweislich einer durch Schlecker im Internet veröffentlichten Liste sind die Standorte Mannheim, Heidelberg, Hemsbach und Edingen-Neckarhausen betroffen. Hier werden mit großer Wahrscheinlichkeit Filialen geschlossen. In den anderen Gemeinden des Wahlkreises 39 Weinheim bleiben die Schleckermärkte zunächst noch erhalten.

Die Schließung der Märkte auf der 40-seitigen „Liste des Grauens“ gilt als sicher. Diese Liste wurde heute von Schlecker auf dem Unternemensblog veröffentlicht.

Die betroffenen Filialen beginnen ab sofort mit dem Räumungsverkauf. So bitter die Schließung für die Angestellten ist – Schnäppchenjäger dürfen sich über 30 Prozent Preisnachlass auf Produkte freuen, die nicht preisgebunden sind.

Rund 12.000 Menschen werden ihren Arbeitsplatz verlieren, vornehmlich Frauen. Gut 40 Prozent der 5.400 Filialen sollen geschlossen werden. Nach unseren Informationen sind es im Rhein-Neckar-Gebiet sogar 50 Prozent der Filialen.

Laut Informationen von Spiegel Online seien die betroffenen Filialen Montagabend per Fax über die Schließung unterrichtet worden. Danach werden die Filialen bis zum 24. März geschlossen.

Schlecker informiert im Internet, dass eine Schließung nicht unbedingt eine Kündigung bedeute:

Neben der Information, ob der jeweilige Markt voraussichtlich geschlossen wird, hat Schlecker gegenüber den Mitarbeitern nochmals deutlich erläutert, dass die Schließung eines Markts nicht zwangsläufig mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergeht.

Tatsächlich dürfte das ein schwacher Trost sein – die Bundesregierung hat Stützungsgelder über die bundeseigenen Förderbank KfW abgelehnt, die Verhandlungen mit der Gewerkschaft verdi haben noch keine Ergebnisse gebracht.

Das baden-württembergische Unternehmen Schlecker (Ehingen/Donau) war ehemals Deutschlands größte Drogeriemarkt-Kette.

Die Schlecker-Tochter „Ihr Platz“ ist ebenfalls insolvent – was mit deren Filialen passiert, ist noch nicht offiziell. Angeblich soll ein Viertel aller Filialen geschlossen werden.

Ende 2011 waren massive Liquiditätsprobleme bei Schlecker bekannt geworden, am 24. Januar 2012 wurde der Insolvenzantrag beim Amtsgericht Ulm gestellt.

Schlecker war in der Vergangenheit wegen schlechter Bezahlung, Überwachung von Mitarbeitern und rigidiger Management-Methoden immer wieder in die Kritik geraten.

 

Download:

Die „Liste des Grauens“

Unklare Zukunft der Schlecker-Märkte

For you. Vor Ort. Vorbei?

Wie lange gibt es den Schleckermarkt vor Ort noch? Wie viele verlieren Ihre Arbeitsplätze? Was, wenn es nur noch einen Versorgen im Ort gibt? Viele Fragen - keine Antworten.

 

Rhein-Neckar, 24. Januar 2012 (red/jt) Nach Bekanntwerden der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker herrscht große Unsicherheit – bei Mitarbeitern und bei Kunden. Welche Filialen bleiben bestehen, wo gibt es Schließungen, wer verliert seinen Job? Auch die Metropolregion Rhein-Neckar ist betroffen.

Die Schlecker-Pleite kostet deutschlandweit vermutlich 30.000 Menschen ihren Arbeitsplatz. Viele davon auch in der Region Rhein-Neckar. Im benachbarten Neckar-Odenwald-Kreis hat das Filialsterben bereits angefangen. Die Filiale in Seckach hat laut Rhein-Neckar-Zeitung bereits zum 24. Dezember 2011 ihre Türen geschlossen. Auch die Filialen Buchen, Osterburken und Höpfingen wurden bereits 2011 dicht gemacht.

In der Metropolregion Rhein-Neckar gibt es ebenfalls erste Opfer unter den Filialen. In Ilvesheim schließt man zum 08. Februar die Türen. Die Regale sind schon großenteils leer geräumt.

Ungewiss ist die Zukunft der dortigen Mitarbeiter. „Vermutlich werden wir zunächst Krankheitsvertretung in den Nachbarfilialen machen“, sagt uns eine Mitarbeiterin. Erfahren habe man von der Schließung übrigens erst vor einer Woche.

Um uns ein genaueres Bild von der Lage vor Ort machen zu können, haben wir auch die Filialen in Edingen-Neckarhausen, Heddesheim und Ladenburg persönlich besucht.

Presse nicht erwünscht

In Ladenburg verweist man mich direkt an die Filialleiterin. Die Dame ist um die 50 Jahre alt. Sie räumt gerade Regale ein. Fragen möchte sie keine beantworten. Die anderen Mitarbeiter sehen verstohlen zu uns herüber. Antworten gibt es hier keine, bis auch diese: „Die Presse ist hier nicht erwünscht.“

Klare Auskunft in Ladenburg:

 

Ähnlich die Reaktion in Heddesheim. Auch dort verweist man an die Filialleitung. Antworten? Fehlanzeige. Die Nummer der Pressesprecherin könne man uns geben. Diese Auskunft gibt es zwischen Tür und Angel. Von einem Fax oder Brief schreibt die Filialleiterin die Nummer ab. Dazu kommt sie nicht mal aus ihrem Büro hervor. Sie reicht einen kleinen Zettel mit einer Handynummer darauf. Selbst der Name der Ansprechperson fehlt.

Auf die Nachfrage, ob man denn schon etwas zum Schicksal der Filiale weiß, verweist man mich mit einem Lächeln und Augenzwinkern an die Pressestelle. „Netter Versuch!“, soll das wohl heißen.

Verunsicherte Kunden

In Edingen-Neckarhausen antwortet mir ein Mitarbeiter. Die Filialleitung lässt sich nicht blicken. Der Mitarbeiter scheint besorgt. Von der Insolvenz habe man durch die Firmenleitung erfahren, ungefähr zur gleichen Zeit als es auch in den Medien bekannt wurde. Viele Kunden seien verunsichert, würden nachfragen, ob die Filiale erhalten bleibt.

Der Ilvesheimer Markt wird schließen - wann ist noch unklar.

 

Von der Schließung in Ilvesheim weiß man hier bereits. Wenn die Presse positiv berichtet, könnte das vielleicht helfen. Eine diffuse Hoffnung. Tatsache ist, neben dem Edeka-Markt ist die Schleckerfiliale die einzige Einkaufsmöglichkeit am Ort. Im Ortsteil Neckarhausen wurde der dortige Drogeriemarkt schon vor einiger Zeit geschlossen.

Ein Passant erzählt uns, die Filiale sei so etwas wie ein Tante Emma Laden.

Das ist das einzige Geschäft direkt hier im Ortskern!

Viele ältere Menschen wohnen in Edingen, der Weg zum Industriegebiet ist für sie zu weit und zu beschwerlich. Als wir ein Bild der Filiale machen, witzelt ein weiterer Passant:

„Sie machen wohl das letzte Bild, was?“

Keine Informationen durch die Pressestelle

Zurück in der Redaktion versuchen wir die Pressestelle zu erreichen. Der Anruf unter der uns mitgeteilten Telefonnummer bleibt erfolglos. Wie zu erwarten. Per email fragen wir erneut nach.

Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen über einzelne Märkte, Städte oder Regionen treffen können.

Das ist der Informationsgehalt der erhaltenen Antwort. Einen Namen des Pressesprechers sucht man hier übrigens vergebens. Die Mail ist lediglich mit „Pressestelle Schlecker“ unterzeichnet.

 

Deutschlandweite Kritik

Das Thema „Schlecker“ ist zur Zeit fast überall zu finden. Die Unternehmerfamilie Schlecker steht stark in der Kritik. Auch Trigema-Chef Wolfgang Grupp geht hart mit Anton Schlecker ins Gericht.

Gegenüber der „WirtschaftWoche“ äusserte er, Schlecker habe das Geld, das er mithilfe seiner Beschäftigten verdient habe, für sich behalten. Weiter kritisierte er:

Hier werden diejenigen belohnt, die dem Größenwahn und der Gier frönen, während die Anständigen die Dummen sind.

Laut Informationen der Financial Times Deutschland (FTD) soll nun eine sogenannte Planinsolvenz in die Tat umgesetzt werden. Dabei handelt es sich um ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung. Das Unternehmen legt dem Insolvenzrichter dabei ein Sanierungskonzept vor, mit dem es entschuldet werden soll.

Die Familie Schlecker könnte so Eigentümer der Kette bleiben. Wichtig dabei ist: Der Insolvenzverwalter übernimmt nur die Aufsicht bei einem solchen Verfahren. Die Geschäftsführung bleibt weiter im Amt.

Danach würde auch die Geschäftsführung Pläne vorlegen wie es mit Filialschließungen, Stellenabbau und Kostensenkungen weitergeht, nicht der Insolvenzverwalter.

Auf der Facebook-Seite des Unternehmens kommentiert eine Nutzerin das angekündigte Planinsolvenzverfahren wie folgt:

Das rettet unsere Arbeitsplätze auch nicht mehr. Danke Anton.

Laut Spiegel geht es aber nicht nur um die Arbeitsplätze, auch die Gehälter sind in Gefahr. Mit einer Planinsolvenz kann das Unternehmen auch die bestehenden Tarifverträge mit ver.di ausserplanmässig kündigen. Schlecker wäre sonst bis Juni an einen Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrag gebunden gewesen, der Entlassungen nicht möglich macht.

Seit 2010 waren die Kinder von Firmengründer Anton Schlecker für eine Neuausrichtung des Unternehmens zuständig.

Sie versprachen mehr Offenheit – umgesetzt wurde die aber nicht. Das zeigen solche versteckten Schachzüge im Insolvenzverfahren ebenso, wie der mangelhafte Umgang mit Presse und Öffentlichkeit.

Kundennähe und unternehmerische Verantwortung für die Mitarbeiter geht anders.

„Niedriges Bildungsniveau“ bei Schlecker-Kunden? Unternehmensbrief sorgt für Ärger und Unverständnis


Der neue Slogan "For you. Vor Ort." soll "niedrigere und mittlere Bildungsniveaus" ansprechen. Dazu zählt Schlecker 95 Prozent seiner Kunden, so Unternehmensprecher Florian Baum in einer ersten Reaktion auf Kritik am denglischen (deutsch-englischen) Werbespruch. Foto: soso

Guten Tag!

Rhein-Neckar, 29. Oktober 2011. Ein bislang nicht bekannter Briefschreiber beschwert sich bei Schlecker über den neuen Werbe-Slogan „For you. Vor Ort“. Der Unternehmenssprecher Florian Baum antwortet auf diesen Brief und sorgt mit seiner Antwort für das, was man gut und gerne einen Kommunikationsgau nennen kann. Danach haben die meisten Schlecker-Kunden ein „niedriges bis mittleres Bildungsniveau“. Das Unternehmen versucht sich nun in Schadensbegrenzung.

Von Hardy Prothmann

Bekannt wurde der Brief durch die Fachzeitschrift „Deutsche Sprachwelt“, die das Schreiben zugespielt bekommen und veröffentlicht hatte. Daraufhin entwickelte sich im Internet ein „Shitstorm“ – eine wütende Kettenreaktion mit Kritik am Unternehmen. (Hier Reaktionen auf Twitter.)

Wie man die Antwort von Schlecker-Sprecher Florian Baum zu werten hat, bleibt jedem selbst überlassen. Sehr viele Kundinnen und Kunden haben sich aber mehr als geärgert.

In einer Antwort auf eine Kritik am neuen Werbe-Slogan „For you. Vor Ort“ schreibt Baum, dass er persönlich die Kritik verstehen kann. Immerhin ist er „Geisteswissenschaftler“ und fühlt sich dem „Sprachgebrauch der Latinitas verpflichtet“ – sprich, persönlich würde er so einen Slogan nicht verwenden.

Aus Unternehmenssicht aber schon. Und dafür liefert er eine Begründung, die wenig schmeichelhaft für die Kundinnen und Kunden ist:

„Das Motto sollte die durchschnittlichen Schlecker-Kunden, die niederen bis mittleren Bildungsniveaus zuzuordnen sind, ansprechen.“

Und weiter:

„Die Zielgruppe unseres Werbeslogans sind auch nicht die vielleicht 5 Prozent der Bevölkerung, zu denen Sie und Ihre Mitunterzeichner gehören (nämlich promovierte Akademiker, Philologen und andere reflektierte Sprachverwender) – sondern die übrigen 95 Prozent.“

Wie soll man das verstehen? Dass die „übrigen 95 Prozent“ nicht reflektiert mit der Sprache umgehen? Oder das Schlecker die 5 Prozent gar nicht im Blick hat und auch nicht als Kunden gewinnen will, weil denen der „denglische“ Werbeslogan zu blöd ist?

Die Financial Times Deutschland schrieb: „Schlecker hält die eigenen Kunden für blöd.“ Ein Schluss, den wohl viele aus dem arroganten Schreiben des Unternehmenssprechers Baum ähnlich gezogen haben dürften. Das Handelsblatt formuliert: „Schlecker nennt Kunden ungebildet.“

Das dachten viele nach dem Brief von Schlecker, der für viel Empörung gesorgt hat.

Anstatt sich klar zu entschuldigen und Druck aus der Debatte herauszunehmen, legt Schlecker auf seinem Unternehmens-Blog nach kritischen Presseberichten und Protesten aus der Bevölkerung nach:

„Und ja, wir stehen zu diesem Motto, wie wir auch zu einer unserer wichtigsten Zielgruppen stehen: Menschen mit einfachem bis mittlerem Bildungsniveau.“

Vollkommen unverständlich, wie ich meine. Denn Schlecker verknüpft das „Bildungsniveau“-Thema ohne Not mit den eigenen Kundinnen und Kunden. Und lässt auf den ersten Fehler den zweiten folgen. Und selbst ein richtiger Ansatz, um aus dem Desaster rauszukommen, wird wieder mit der Verknüpfung „Bildungsniveau-Dummheit“ verwendet:

„Wer will, mag unser Unternehmensmotto diskutieren, gut finden oder für dümmlich halten. Unsere Mitarbeiter, die zum überwiegenden Teil schon seit 15 und mehr Jahren im Unternehmen arbeiten, wie auch unsere Kunden sind es ganz sicher nicht.“

Die andauerende Verknüpfung von Bildungsniveau und Dummheit in bezug auf die eigenen Kundinnen und Kunden ist das Problem dieser Kommunikationspanne, durch die viele unterstellen, Schlecker habe keine besonders gute Meinung von der eigenen Klientel.

Eine positive Formulierung dieser Art hätte Schlecker und der Klientel sicher mehr gedient:

„Wie achten und schätzen unsere Kundinnen und Kunden als gute Menschen. Wer bei uns einkauft, ist schlau – denn wir bieten gute Ware zu günstigen Preisen. For you. Vor Ort.“

Das ist aber der „Unternehmenskommunikation“ und dem „Geisteswissenschaftler“ Florian Baum nicht eingefallen. Was man auch indirekt als Beweis anführen könnte, dass eine akademische Bildung und eine Zugehörigkeit zur „Latinitas“ nicht unbedingt vor Dummheit schützt.

Diese Aussage sorgte für jede Menge Verärgerung.

Vielleicht sollte sich Schlecker zuallererst einen neuen Unternehmenssprecher suchen, der die Kundenansprache besser beherrscht.

Wer den Brief nachlesen möchte, findet ihn beim Facebook-Account von „Deutsche Sprachwelt.“

Weitere Infos:

Siehe auch einen Bericht des Mediendienstes „meedia“ zum Thema.

Werben und Verkaufen

Scilogs: For you – verbohrt

Stelllungnahme von Schlecker